Vortragsveranstaltung
Das Collegium Carolinum und die Studiengruppe "Wissen - Raum - Umwelt" der Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien München/Regensburg laden herzlich zu einer Vortragsveranstaltung ein:
Felix Jeschke (London)
"Nationenbildung und Eisenbahndiskurs in der Tschechoslowakei (1918-1938)"
am 9. Oktober 2014, 14 Uhr c. t., im Seminarraum des Collegium Carolinum
(Hochstr. 8 / 2. Stock, München)
Bei ihrer Gründung war die Tschechoslowakei ein geografisch geteiltes Land, in dem der österreich-ungarische Ausgleich von 1867 noch lange nachhallte. Die ehemals ungarische Slowakei und Karpatenukraine unterschieden sich nicht nur in sprachlicher, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht von den böhmischen Ländern. Auch verkehrsgeografisch waren die Landesteile – wie der britische Historiker Robert William Seton-Watson im Jahre 1924 bemerkte – „like two badly joined fragments“. Als einzige zweigleisige Hauptbahn verband im Jahre 1918 die Kaschau-Oderberger Bahn Schlesien (und von dort aus Prag) mit der Slowakei. Diese Eisenbahn befand sich allerdings in Privatbesitz, hatte ihren Sitz in Budapest und kam der polnischen Grenze gefährlich nahe.
Ein zentraler und in der Wissenschaft bislang vernachlässigter Bestandteil der tschechoslowakischen Staatsideologie war daher die Verbindung beider Landesteile durch neue Eisenbahnstrecken. Der Vortrag nähert sich diesen Bauprojekten aus kulturgeschichtlicher Perspektive. Anhand von Quellen wie den Eröffnungszeremonien und der Berichterstattung in Presse und Wochenschauen beleuchtet er die Ambivalenz der tschechoslowakischen Eisenbahnpolitik. Waren die Bauprojekte einerseits als Zeugnisse der tschechoslowakischen nationalen Einheit konzipiert, so spiegelten sie doch auch hierarchisierte und koloniale Motive des Prager Zentralismus wider und trugen so zur Entwicklung des slowakischen Separatismus bei.
Felix Jeschke promoviert seit 2011 an der School of Slavonic and East European Studies (University College London) zum Thema Eisenbahn und Nationenbildung in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit. An der gleichen Universität studierte er von 2005 bis 2010 Geschichte, Bohemistik und Hungarologie. In seiner Doktorarbeit untersucht er die Rolle von räumlicher Infrastrukturpolitik bei der Integration der Slowakei in den neuen Staat. 2012 veröffentlichte er in der Zeitschrift "Central Europe" einen längeren Beitrag über die Kulturgeschichte der elektrischen Eisenbahn zwischen Wien und Pressburg/Bratislava (1914–1935). Hinzu kommen kürzere Artikel in "Dějiny a současnost" und "Lidové noviny" sowie zahlreiche Buchbesprechungen. Zurzeit absolviert er einen mit einem Stipendium des Balassi-Instituts geförderten siebenmonatigen Forschungsaufenthalt an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest.

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